5 Fragen an … das Reallabor „Zukunftsstadt Dresden 2030+“
Im Reallabor „Zukunftsstadt Dresden 2030+“ wurde von 2015 - 2022 erprobt, wie sich die Stadt gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern, Kommune und Wissenschaft nachhaltig gestalten lässt. Die Umsetzungsphase der Transformationsexperimente fiel maßgeblich in die Corona-Pandemie – wie diese den Prozessverlauf beeinflusst, wird im Blogbeitrag geschildert.
Hintergrund
Im Reallabor „Zukunftsstadt Dresden 2030+“ haben in den drei Phasen Visionieren, Planen und Umsetzen Bürger*innen, Kommune und Wissenschaft ein Zukunftsbild für Dresden entworfen und darauf aufbauend Projektideen für Transformationsexperimente entwickelt, wovon zehn in einer transdisziplinären Kooperation umgesetzt wurden (8 von Bürger:innen, 2 von der Stadtverwaltung).
„Zukunftsstadt Dresden 2030+“ ist ein Verbundprojekt des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung, der Landeshauptstadt Dresden und der Technischen Universität Dresden, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Informationen zur Zukunftsstadt Dresden: www.zukunftsstadt-dresden.de
Die Fragen beantworteten Marie Neumann und Dr. Franziska Ehnert am 25.10.2022. Franziska Ehnert ist Projektleiterin des Projekts „Zukunftsstadt Dresden 2030+“, Marie Neumann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt und zuständig für den Wissenstransfer. Beide arbeiten am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung.
1. Inwiefern hat die Pandemie Ihr Projekt betroffen? Welche Auswirkungen hatte sie?
Mitte 2019 begann die Umsetzungsphase für die zehn Transformationsexperimente (TE) der Zukunftsstadt. Nach einem sehr guten Start 2019 bremsten die Covid19-Pandemie und die damit einhergehenden Restriktionen den Schwung der Umsetzung Anfang 2020 und darüber hinaus immer wieder aus. Viele Veranstaltungen fielen aus oder wurden (mehrmals) verschoben. Mit der „Woche des guten Lebens“ musste ein TE nach vielen Verzögerungen komplett abgesagt werden. Für die weit über 150 ehrenamtlichen Helfer*innen, die viel Herzblut in das Projekt gesteckt hatten, war das ein herber Schlag.
Andere TE hatten große Verzögerungen in der Umsetzung, auch weil die städtische Verwaltung im Notbetrieb war und Nachhaltigkeit nach der Sächsischen Gemeindeordnung keine Pflichtaufgabe der Kommunen ist. Die Zukunftsstadt-Projekte wurden daher als eine Zusatzaufgabe interpretiert und hatten keine Priorität in der Bearbeitung. Die zahlreichen Verzögerungen führten bei vielen TE zu kostenneutralen Projektverlängerungen, wodurch manche TE jedoch zuletzt im Ehrenamt der Bürger:innen koordiniert wurden.
Um etwas Positives hinzuzufügen: Das TE „Zur Tonne“ hat sich durch die Pandemie in der Ausrichtung komplett gedreht. Die erste Idee war ein Containerrestaurant, in dem alle Speisen aus Lebensmitteln zubereitet werden, die sonst im Abfall gelandet wären. Die Pandemie verhinderte jedoch Restaurant-Besuche. Das Projektteam entschied sich deswegen für eine mobile Fahrrad-Küche, die seither im Freien zum Einsatz kommt und immer wieder Menschen zusammenbringt. Zudem hat es während des Lockdowns im Frühjahr 2020 Lebensmittel an sogenannten „Gabenzäunen“ gespendet und Essen an Obdachlose verteilt, um Menschen zu unterstützen, die durch die Pandemie in Not geraten waren.
2. Welche Methoden/Formate wurden während der Pandemie neu ausprobiert?
Im Verlauf der „Zukunftsstadt Dresden“ wurden bis zur Corona-Pandemie keine Veranstaltungen digital durchgeführt. Durch die Kontaktbeschränkungen wurden ab 2020 insbesondere Treffen und Workshops ins Digitale verlegt. Für die organisatorischen Treffen (zum Beispiel Kernteamtreffen) war das in Ordnung. Jedoch für die Reflexionsworkshops der Zukunftsstadt-Community und auch für die jährliche öffentliche Zukunftskonferenz bedeutete das erhebliche Einschränkungen im persönlichen Austausch, besonders weil das Spontane und Informelle fehlte.
Ein neues Format hat sich das TE „Zündstoffe – Materialvermittlung Dresden“ überlegt: Damit weiterhin Menschen an Materialien zur Wiederverwendung aus dem Materiallager kommen, wurden Materialboxen – sogenannte „Schatzkisten“ – zusammengestellt. Diese konnten dann ohne Kontakt abgeholt und nach eigenen Vorstellungen verarbeitet werden, zum Beispiel zu Schutzmasken. Dadurch wurde „Zündstoffe – Materialvermittlung Dresden“ zu einer Art Ersatzbaumarkt im Lockdown.
Das TE „Essbarer Stadtteil Plauen“ hatte schon vor der Pandemie auf das Format der Spaziergänge gesetzt, um Menschen essbare Pflanzen in ihrer direkten Nachbarschaft zu zeigen. Durch die Pandemie wurden diese erschwert und das Projektteam entschied sich dafür, eine App zu entwickeln, damit Menschen ihre eigenen Spaziergänge erstellen und mit anderen teilen können (Veröffentlichung für Frühjahr 2023 geplant).
3. Wie war die Beteiligung während der Pandemie im Vergleich zu davor?
Die Kontaktbeschränkungen zu Beginn des Jahres 2020 machten eine Beteiligung von Externen an den TE größtenteils unmöglich. Alle blieben erst einmal unter sich und suchten nach neuen Wegen zur Beteiligung und zur Öffnung. Angebote, die vor der Pandemie gut angenommen wurden, hatten es danach schwerer.
So hat z. B. das TE „Stadtteilfonds und -beiräte“ in den Stadtteilen Johannstadt und Pieschen- Süd/Mickten seine Sitzungen ins Digitale verlegt, damit weiterhin Projekte in der Nachbarschaft gefördert werden können. Jedoch gingen weniger Anträge ein, da die Umsetzung der Projekte in den Stadtteilen durch mögliche weitere Kontaktbeschränkungen nicht gut planbar war.
Viele andere TE konnten ihre Veranstaltungen und Beteiligungsformate schlicht nicht durchführen, da sie auf Treffen in der physischen Welt angewiesen waren. So bot z. B. das TE „Zündstoffe – Materialvermittlung Dresden“ eigentlich Bildungsworkshops an, die sich besonders durch haptische Erfahrungen auszeichnen sollten. Dies konnte digital einfach nicht umgesetzt werden. Das TE „Nachhaltigkeit Unternehmen“ wollte unter anderem mit der Dresdner Stadtentwässerung zusammenarbeiten, um im Betrieb Veränderungen zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise anzustoßen. Betriebsfremde durften nach Ausbruch der Corona-Pandemie jedoch nicht auf das Gelände, wodurch die Zusammenarbeit erst nach einiger Verzögerung beginnen konnte.
4. Hat sich die Gruppe der Beteiligten verändert?
Inwieweit sich die Beteiligung in den einzelnen TE durch die Pandemie verändert hat, können wir nicht sagen. Auffällig war, dass Online-Formate, die in der Zeit ohne Kontaktbeschränkungen stattfanden, weniger gut angenommen wurden. Unsere Vermutung: Die vielen digitalen Angebote, die in der Zeit der Kontaktbeschränkungen entstanden waren, führten zu einer „Online-Überdrüssigkeit“. Als Kontakte wieder möglich waren, sind wir bei Aktionen der TE auch Menschen begegnet, die kein Internet besitzen (möchten) und den Austausch an physischen Orten präferieren. Diese haben wir zumindest in der Zeit der Kontaktbeschränkungen mit den digitalen Formaten nicht erreicht.
5. Haben Sie aus den Erfahrungen etwas gelernt? Entsteht daraus eine „neue Normalität“ der Beteiligung?
Unser Fazit: Reallabore brauchen informelle Räume, um in einer persönlichen Atmosphäre eine Vertrauensbasis zwischen allen Beteiligten entstehen zu lassen. Die Arbeitsweisen der Akteursgruppen in der Zukunftsstadt Dresden (Wissenschaft, Bürger*innen, Kommune) sind sehr unterschiedlich und erst durch das Zusammenkommen, z. B. bei einem Reflexionsworkshop mit gemeinsamer Mittagspause, konnten die Einblicke in die Alltagswelt der jeweils Anderen vertieft und dafür Verständnis geschaffen werden.
Diese informellen Treffen sind auch wichtig, damit aus vielen TE eine Community entsteht. Weil aufgrund der Kontaktrestriktionen auch der monatliche „Stammtisch“ für die Community wegfiel, war sie am Ende eher ein loses Netzwerk. Zudem fehlten die Möglichkeiten, gemeinsam die Erfolge zu feiern und Wertschätzung zu zeigen.
Eine neue Normalität ist daher nicht entstanden, aber ein größeres Bewusstsein für die Bedeutung von physischen Räumen und persönlichen Begegnungen sowie Möglichkeiten für Austausch, Netzwerken und Geselligkeit innerhalb eines Reallabors.